The Door hat geschrieben:Oh ho ho ho! Eine geradezu literarisch-philosophische Wendung. Vorzüglich!
Dieser Einwand ebnet mir den Weg für viele, in völlig unterschiedliche Richtungen gehende, Folgefragen, zum BeispielSoll man also annehmen, das menschliche Gehirn hätte sich in den letzten 2000 Jahren strukturell verändert, so dass man "biologisch" behaupten kann, diese Gedanken seien "alt" und ein moderner Mensch könnte so eigentlich gar nicht mehr denken?
Ausschließen würd ich das nicht. Es ist ja, glaub ich, erwiesen, dass sich angelernte Dinge irgendwie ins Erbgut einnisten und so weitervererbt werden können. Das würd im Rahmen der gesamten Evolution Sinn ergeben, sag ich mal. Es könnte also sein, dass Menschen heute generell von Haus aus unterm Strich etwas weniger darauf aus sind, ihren Nachbarn zu töten, nur weil es gerade in den Kram passen würde. Natürlich muss man das trotzdem irgendwo (gesetzlich) festschreiben. Dieser Prozess dauert aber sicherlich wesentlich länger als 2000 Jahre, sodass der Unterschied zu damals vermutlich gering ist.
Oder soll man annehmen, dass sich grundsätzliche menschliche Bedürfnisse seit den letzten 2000 Jahren verändert haben (und ich meine "Bedürfnisse" in einem ganz reaktionär-maslowschen Sinne), so dass ein Mensch von heute auf einer tabula rasa nicht mehr eine Handlungsvorgabe entwickeln würde, die weitestgehend den Hintergrundideen sagen wir der 10 Gebote entspräche?
Auch spannend. Ich sag mal, ein Ziel/einen Sinn brauchen Menschen heute genauso. Und enttäuscht, wenn eine Flut/ein Erdbeben/ein Unwetter das Haus zerstört, sind sie heute wie damals. Wenn man aber annimmt, dass Menschen heute durch das Erbgut intelligenter sind, als vor 4000 Jahren (ich glaube, auch das ist erwiesen, dass der IQ steigt - das ist natürlich ein eigenes Kapitel ... man kann die IQ-Messung natürlich keinem Apostel vorlegen, und der IQ-Wert an sich ist ja umstritten, aber ich glaub trotzdem, dass durchs Erbgut die Menschen mehr 'können' als früher), könnte es also sein, dass die Menschen schneller hinter die Abläufe der Natur kommen würden und dadurch "weniger Hexen verbrannt werden würden". Dementsprechend glaube ich, dass möglicherweise heute der Umweltgedanke viel größer ausfallen würde. Du sollst auf deine natürlich Umgebung achten. Ganz einfach, weil wenn ich es mir mit der Natur verscherze, ich im Endeffekt verhungern werde. Früher wäre man evtl. einfach weiter gezogen.
Es würde natürlich auch heute irgendwann jemand auf die Idee "Gott" kommen. Ob man aber eher einen Gott anbetet, als auf die Natur zu achten ... wahrscheinlich nicht: denn wenn ich weiß, warum meine Ernte schief geht, dann brauch ich nicht beten, dass die nächste Ernte wieder passt, sondern ich ergreife einfach die entsprechende Maßnahme.
Ist der Mensch in seinen sozial-gesellschaftlichen Möglichkeiten seit 2000 Jahren so weit fortgeschritten, dass diese "alten" Spielregeln keine Bedeutung mehr haben müssten (wir aber, zB aufgrund eines starken Traditionsbewusstseins, mittels diverser "patches" [um Deinen Vergleich zu verwenden] versuchen, sie dennoch weiterhin am Leben zu erhalten)?
Also selbstverständlich ist es ja heute noch immer nicht, dass ich meinem Nachbarn nichts stehle. Dementsprechend sind die alten Regeln immer noch genauso notwendig. Müssen aber Homosexuelle gesteinigt werden? Nein! Gibt es Leute, die diese Regel immer noch anerkennen? Leider viel zu viele !! Andere wenden wiederum einen Patch an, der aus dem steinigen ein "heilen" macht.
Wenn ich aber fähig bin, zu erkennen, dass Homosexualität weder böse noch lebensbedrohlich ist, und in Wahrheit normal (!) ist (wenn auch eine Minderheit, aber auch Männer sind genaugenommen eine Minderheit ...), und niemand eine erfundene Macht hernimmt, um seine eigene Intoleranz zu verteidigen, dann - würde ich sagen - ist KEINE Spielregel notwendig, die Homosexualität abhandelt.
Aber so weit ist der Mensch natürlich noch lange nicht. Immerhin sind Frauen in der westlichen Welt haaaalbwegs gleichberechtigt. Schwarze werden auch nicht mehr gaaaanz so viele unnötig ermordet. Genies werden auch höchstens nur noch in Afrika verbrannt, vermutlich.
Impliziert die ganze Diskussion eigentlich eine politische Dimension seitens der so genannten christlichen Grundwerte - will sagen, sind diese Werte mehr als nur ein sich aus menschlicher Koexistenz logisch ergebender Verhaltenskodex (was man angesichts der vielen Werte-Ähnlichkeiten zwischen allen möglichen Religionen weltweit ja schnell mal vermuten könnte) und sollte man das Ganze vielleicht eher beispielsweise so betrachten, als würden sich die Menschen des Jahres 4028 auf das Parteiprogramm der ÖVP von 2014 berufen? Also auf mehr, als nur ein gutes Miteinander-Auskommen, sondern auf bestimmte Ziele?
Wenn ich dich richtig verstanden habe, würde ich sagen, ja, christliche Grundwerte sind viel mehr, als sich logisch ergebende Verhaltensweisen. Darauf bauen sie sicher auf. Aber irgendwann kommen Dinge dazu, die eigentlich ideologisch sind. Wo es also gleichwertige Alternativen gäbe, die genau so - von der Logik her - in die Menschheit passen könnten. So in die Richtung: essen wir 1x pro Woche Fleisch (wegen der Umweltbelastung), oder essen wir 5x die Woche - dafür jeweils weniger - Fleisch.
Unterm Strich - und das ist ein Grundübel in meinen Augen - sind die Religionen politisch in der Gesellschaft sehr, sehr stark verankert. Die Gründer der USA zum Beispiel waren großteils
gegen Religion. Das haben sie auch in die Verfassung geschrieben.
Heute allerdings, sehen sich die Führer der USA als Führer eines christlichen Staates. Und das hat natürlich Konsequenzen. Weil man Religion so schwer "abwählen" kann. So sind natürlich sowohl Demokraten als auch Republikaner christlich (die Republikaner natürlich großteils in einem irrwitzigen Ausmaß).
Wenn ich also die Religionen wegstreichen würde, so würden Moslems vermutlich trotzdem weniger/kein Schweinefleisch essen. Aber es würde nicht gegen eine allmächtige, erfundene Macht verstoßen, wenn sie es doch tun. Und Frauen würden vielleicht ein Kopftuch tragen, weil es ihnen gefällt/praktisch ist, und nicht, weil es so sein muss!
Es wär doch so schön, wenn alle Menschen einen größeren Rahmen hätten, innerhalb dessen sie sich entfalten könnten. Natürlich nicht so ein Rahmen, wie in GTA, wo man durch die Straßen ziehen und Autos in die Luft jagen kann, nur weil man eben gerade Lust drauf hat. So wie z.B. in Los Angeles, wo du bunt und schrill durch die Straßen gehen kannst, und kaum einer wird blöd schauen, und du wirst viele Komplimente kriegen. Klar, dort wo es Regeln gibt, kann man sie ja trotzdem einhalten. Wenn ein Familienrestaurant sagt, sie möchten bitte, dass Frauen auch im Sommer recht "brav" angezogen dort essen, dann können sie das ja auch akzeptieren, und müssen keinen Aufstand von wegen "ich mache, was mir passt" machen. Aber ich glaube, dass ohne Religion diese Regeln "menschennäher" wären, als - ich muss in der Kirche eine Kopfbedeckung tragen, weil der einzige Kopf, der unbedeckt sein darf, ist jener des Jesus/Buddah whatever.
Heißt: auch ohne Religion wird es Probleme mit Grenzen/Regeln geben. Das ist unausweichlich. Aber ich bin sicher, es wäre viel eher ein "aha, die machen das also so ... interessant", als "nagut, (mein) Gott sagt eindeutig, das ist Sünde ... die werden alle nicht in Himmel kommen ..." ... ergo "ihr macht es
falsch !".
In so einem Programm fänden sich vielleicht wirklich "alte" Gedanken, die für das Jetzt von 4028 wohl nur schwer adaptierbar ("zu patchen") wären. Befinden wir uns mit der Bibel in demselben Verhältnis zur heutigen Zeit?
Vermutlich wird die Menschheit
immer Legacy Code mitschleppen. Weil man oft erst spät erkennt, dass man so manches eigentlich garnicht mehr braucht.