Seit einigen Jahren bemüht sich der 0berste Gerichtshof aktiv darum, den Kreis der Schmerzensgeld-Berechtigten zu erweitern. Zahlreiche Urteilssprüche der letzten Zeit sind von diesem Bestreben geprägt. Nicht nur unter Laien in Rechtsfragen stellt sich jedoch die Frage, ob dabei in manchen Fällen nicht über das Ziel geschossen wurde, insbesondere dann, wenn der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung schon sehr weit gestreckt ist, wodurch die genaue Höhe der Schadenersatzansprüche weniger am Ausmaß des schuldhaften Verhaltens des Täters, sondern vermehrt an rein zufälligen Ereignissen bemessen wird, die in die Kausalkette hineingespielt haben.
Infolge der neuen Judikatur des 0GH ist auch das Niveau der Schadenersatzansprüche stark angestiegen und nähert sich zunehmend den in der amerikanischen Rechtspraxis üblichen Größenordnungen. Auch hier ist fraglich, ob diese Vorgehensweise tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit führen wird. Vergessen wird womöglich, dass der schuldig Gesprochene zusätzlich zu den Schadenersatzzahlungen noch die Prozesskosten zu tragen hat. In den meisten Fällen werden von Betroffenen ohne juristischen Hintergrund gar keine Schadenersatzklagen angestrengt, da das Prozessrisiko und der Aufwand zu groß sind. In Hinkunft könnten gerade die rechtschaffeneren Bürger aus Skrupel, den Täter völlig unverhältnismäßig zur Rechenschaft zu ziehen, noch seltener eine Klage in Erwägung ziehen.
Erstaunlich ist, dass ein derartiger, von Seiten der Höchstrichter scheinbar rein willkürlich und ohne äußere Notwendigkeit gefasster Gesinnungswandel in der Gerichtsbarkeit überhaupt möglich ist. Der Rechtssicherheit in der Rechtsauslegung sind Meinungsumschwünge solcher Art wohl eher abträglich.
Nachfolgend sind (mit Quellenangabe) einige fragwürdige Erkenntnisse des 0GH der letzten Jahre angeführt, die auf dessen neue Rechtsauffassung in Sachen Schmerzensgeld zurückzuführen sind:
Schmerzensgeld für Magersüchtige
Eine 14-jährige bekommt 21.500 € Schmerzensgeld zugesprochen, weil sie aufgrund eines Krankenhausaufenthaltes ihrer Eltern nach einem Motorradunfall magersüchtig geworden ist.
http://www.diepresse.at/home/diverse/re ... 0/index.do
Fehlverhalten am Schilift
5.188,89 € Schmerzensgeld samt 4% Zinsen für 2 Jahre erhält eine Frau, die es beim Wegfahren am Schlepplift unterlassen hat, sich darum zu kümmern, den Bügel richtig "in der Gesäßgegend zu plazieren"; dieser ist dann im Anorak steckengeblieben, was zu einem Schenkelhalsbruch geführt hat.
[quote="0GH-Urteil"]Eine [Einstiegshilfe] wäre schon deshalb geboten gewesen, weil schon der erste Schleppliftbügel von der Klägerin nicht aufgenommen wurde, sondern deren Rücken berührte und sich anschließend weiterbewegte, ohne dass die Klägerin nunmehr ihre Blickrichtung dem nächsten folgenden Bügel zugewendet hätte. [..] Ein besonders sorgfältiger Liftwart hätte eine solche Einstiegshilfe im Hinblick darauf, dass die maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit nur geringfügig unterschritten wurde, [..] gewährt.[/quote]http://www.ris.bka.gv.at/taweb-cgi/tawe ... 69492&p=40
LKW-Fahrer hält sich nicht an ärztliche Vorschriften
43.647,30 € Schmerzensgeld erhält ein LKW-Fahrer zuerkannt, der an Morbus Sudeck erkrankt ist, weil er sich nach einem Unterschenkelbruch nicht an die ärztlichen Therapie-Anweisungen gehalten hat]
http://www.medizin.at/news/pubartikel.asp?id=2366
Behindertes Kind konnte nicht mehr rechtzeitig abgetrieben werden
Laut Erkenntnis des 0GH besteht Unterhaltsanspruch für ein behindertes Kind, wenn der Arzt bei einer Untersuchung während der Schwangerschaft nicht explizit auf mögliche Behinderungen hinweist, und eine allfällige Abtreibung, sobald die Behinderung feststeht, dann nur mehr unter erschwerten Bedingungen möglich ist:
http://www.diepresse.at/home/politik/in ... 8/index.do
Zu diesem Thema wurde letztes Jahr am Juridicum eine Diskussion zwischen der OGH-Präsidentin, Irmgard Grîss, Rechtsphilosophen und Medizinern abgehalten; Berichte dazu sind über folgende Verweise abrufbar:
http://www.bizeps.or.at/news.php?nr=7307&style=2
http://www.diepresse.at/home/diverse/re ... 6/index.do
Die Präsidentin gibt dabei zu, nicht objektiv geurteilt zu haben (!):
[quote="Die Presse"]Grîss räumte ein, die Entscheidung des 5. Senats sei auch aus Mitleid mit der betroffenen Mutter gefällt worden.[/quote]Höchst bemerkenswert und befremdlich für einen Höchstrichter ist auch folgendes Zitat der Präsidentin, worin der Beliebigkeit das Wort geredet zu werden scheint:
Dr. Irmgard Grîss hat geschrieben:Eine gewisse Kritik ist sicher berechtigt. Es gibt in der Juristerei nie ein Richtig oder Falsch. Man kann immer alles auch anders sehen.
Aufgrund der neuen Vorgaben des 0GH in Schadenersatzfragen kommt es nun vermehrt zu "eklatanten Fehlbemessungen" der unteren Instanzen, wie vom 0GH selbst festgestellt wurde:
http://www.diepresse.at/home/diverse/re ... 1/index.doDie Presse hat geschrieben:Das Höchstgericht hat jüngst zwei außerordentliche Revisionen gegen Urteile zugelassen, mit denen Unfallopfern krass überhöhte Beträge zugesprochen worden waren. Bei einer "eklatanten Fehlbemessung des Schmerzengeldes durch die Vorinstanzen, die völlig aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt", sei jedoch "zur Vermeidung einer gravierenden Ungleichbehandlung" und "letztlich aus den Gründen der Einzelfallgerechtigkeit" die Revision ausnahmsweise zulässig.
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In völlig anderem Zusammenhang stehend, aber auch hinterfragenswert, ist der Umgang des 0GH mit Urteilen eines Schöffensenats, welche, wie im nachfolgend referenzierten Fall geschehen, bisweilen nicht anerkannt werden, wenn sie mit seiner eigenen Rechtsansicht nicht konform gehen]
http://oesterreich.orf.at/steiermark/stories/134809/
http://wien.orf.at/stories/168559/
Die Frage, warum ein derartiger Fall nicht gleich von einem Berufsrichter übernommen werden kann, liegt auf der Hand. Als Schöffe könnte man sich bei einer derartigen Vorgehensweise ziemlich gefrotzelt fühlen.