Die Presse

Wissenschaftliche Diskussion auf Gerstensaftbasis. Alle öffentlichen Themen, die sonst nirgends dazu passen, kommen hier rein.
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zobi
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Die Presse

Beitrag von zobi » Mi Nov 04, 2009 2:04 pm

Über die Qualität, politische Ausrichtung und andere Kriterien österreichischer Tageszeitungen gibts ja bereits Threads, deshalb auch hier mal einer zur "Presse".

Um gleich zu starten: Gerade den Leitartikel vom stellvertretenden Chefredakteur Michael Prüller zum Thema Kreuze in Klassenzimmern gelesen und ich muss ehrlich sagen: mich grausts. Der Artikel strotzt nur so von Vorurteilen und Begriffen wie "europäische Leitkultur" usw.

Auch wenn ich schon oft "gute" Artikel in der Presse gelesen hab', so etwas, noch dazu vom stv. Chefredakteur, zeichnet die Zeitung für mich eindeutiGST negativ aus.


P.S.: Die Kommentare sind sowieso zu vergessen, ebenso in Standard & Kurier.

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version4x
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Beitrag von version4x » Mi Nov 04, 2009 2:18 pm

abgesehen davon, dass ich nie ein fleißiger kommentarleser war, bin ich seit einem jahr gänzlich von der zeitung abgekommen.

wirklich gute nachrichten (in meinen augen) liefert Ö1 in den morgen-/mittag- und abendjournalen. :thumbsu:
......!

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Brett
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Beitrag von Brett » Mi Nov 04, 2009 3:34 pm

version4x hat geschrieben: :thumbsu:
:thumbsu:
Forma, Eier Gnodn.

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Cannibal
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Beitrag von Cannibal » Mi Nov 04, 2009 4:53 pm

Also so problematisch empfinde ich jetzt die Verknüpfung des Christentums mit der europäischen Kultur auch nicht. Immerhin ist das öffentliche Leben bei uns ja auch durch die Religion geprägt, etwa kirchliche Feiertage (da ist sein Furcht vor dem Ende der Menschenrechte tatsächlich etwas melodramatisch und als Beispiel weiter hergeholt). Und die Diskussion um "negative Religionsfreiheit" hat etwas absurdes, da auch der Stephansplatz öffentlicher Raum ist, und man dort ebenfalls mit religiöser Symbolik konfrontiert wird.

Hätte Prüller das ein bisschen provokanter aufziehen wollen, hätte er bspw. seine Argumentation in Richtung freie Religionsausübung (welche dadurch beschnitten werden könnte) lenken können.

Die Vorurteile kann ich nicht genau ausmachen, oder meinst du die Sache mit dem Vakuum, in das stärkere Religionen eindringen könnten?

Zur "Presse" generell: wird in letzter Zeit leider schwächer, weiß aber nicht woran das liegt.

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zobi
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Beitrag von zobi » Mi Nov 04, 2009 8:19 pm

Also so problematisch empfinde ich jetzt die Verknüpfung des Christentums mit der europäischen Kultur auch nicht.
Die Verknüpfung ist ja Realität, wie du dann im weiteren ausführst, jedoch diese als "Leitkultur" zu bezeichnen ist äusserst unverträglich mit meiner Einstellung.
Und die Diskussion um "negative Religionsfreiheit" hat etwas absurdes, da auch der Stephansplatz öffentlicher Raum ist, und man dort ebenfalls mit religiöser Symbolik konfrontiert wird.
Sehe ich auch so, dann muss es aber auch möglich sein Minarette in Tirol aufzustellen mit derselben Argumentation.
Hätte Prüller das ein bisschen provokanter aufziehen wollen, hätte er bspw. seine Argumentation in Richtung freie Religionsausübung (welche dadurch beschnitten werden könnte) lenken können.
Dieses Argument ist in der Diskussion um Säkularisierung bzw. Laizismus logischerweise gänzlich unzulässig, da ich damit jede Trennung von Staat und Religion unterwandern könnte. Da geht es ja eben darum dass Religionsausübung und religiöse Einstellungen NICHT mit politischen, staatlichen Aufgaben vereinbar: siehe Diskussion des zu Tode Verurteilten in Texas bei dem die Geschworenen ihr Urteil teils mit der Bibel und Textauszügen daraus begründeten -> ungültig.
Die Vorurteile kann ich nicht genau ausmachen
Dann dürfest du den Artikel viell. nur überflogen haben, mein Tip wäre exemplarisch folgender Absatz:
Im Grunde haben Kreuze im staatlichen Dienst heute die Funktion einer zivilisatorischen Positionsbestimmung: „Unsere Werte sind die einer auf dem Boden des Christentums gewachsenen Kultur.“ Sie sind etwa für Zuwanderer eine Aufforderung, sich zu fragen, ob man dazupasst oder nicht.
und weiter
Nun kann man natürlich hergehen und das Christentum aus dem genetischen Code der europäischen Zivilisation streichen und hoffen, dass das, was übrig bleibt, ein halbwegs standfestes Gebilde abgibt.
Ein echter Europäer muss also christliche Wurzeln haben um "standfest" (was auch immer das bedeuten soll) zu sein?

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Cannibal
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Beitrag von Cannibal » Mi Nov 04, 2009 8:40 pm

Zum Begriff der "europäischen Leitkultur": der hat sich ja in den 90ern gebildet, ich erinnere mich noch, dass damals schon heftig über die Verwendung debattiert wurde, aber kurz nachgeschlagen beinhaltet er per definitonem nach Bassam Tibi (dem Urheber):

-Vorrang der Vernunft vor religiöser Offenbarung
-Demokratie, die auf der Trennung von Religion und Politik basiert
-Pluralismus
-Toleranz

(http://de.wikipedia.org/wiki/Leitkultur)

Also durchaus vertretbare Werte, in meinen Augen.
Sehe ich auch so, dann muss es aber auch möglich sein Minarette in Tirol aufzustellen mit derselben Argumentation.
Passiert ja gerade eben, und ist meiner Meinung absolut in Ordnung.
dass Religionsausübung und religiöse Einstellungen NICHT mit politischen, staatlichen Aufgaben vereinbar:
Da führt er als (Gegen-)Beispiel unter anderem die deutsche Verfassung, in der Gott verankert ist.
Ein echter Europäer muss also christliche Wurzeln haben um "standfest" (was auch immer das bedeuten soll) zu sein?
Da hat er (vermutlich ganz bewußt) auch von der Zivilisation an sich, und nicht vom Individuum gesprochen. Und hat dahingehend auch recht, als es ohne christliche Wurzeln nicht das kulturelle bzw. gesellschaftliche Europa wäre, das heute unter dem Begriff zu verstehen ist. (Vergleichsweise werden ja andere Zivilisationen auch ganz maßgeblich von der vorherrschenden Religion geprägt, Beispiele sind wohl hier nicht nötig.)

Den Begriff "genetischer Code" finde ich schlecht gewählt, er soll aber vermutlich wiederum seine Auffassung unterstreichen, dass die europäische Kultur dermaßen vom Christentum geprägt ist, wie DNA den basalen Baustein des Lebens darstellt.

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Cannibal
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Beitrag von Cannibal » Mi Nov 04, 2009 9:14 pm

Bezüglich:
siehe Diskussion des zu Tode Verurteilten in Texas bei dem die Geschworenen ihr Urteil teils mit der Bibel und Textauszügen daraus begründeten -> ungültig
Das ist nicht richtig. Sein Anwalt hat um einen 30-tägigen Aufschub gebeten. Offenbar hat zuvor selbst der Supreme Court die Berufung zurückgewiesen.
Rebuffed in the courts, Oliver's attorneys asked Gov. Rick Perry to grant him a 30-day reprieve.

Unsuccessful appeals, including a challenge refused earlier this year by the U.S. Supreme Court, argued that Oliver's constitutional rights were violated by jurors who may have consulted a Bible during deliberations.
http://www.chron.com/disp/story.mpl/ap/tx/6702689.html

Wird sich also vermutlich morgen entscheiden (am Tag der geplanten Hinrichtung) ob der Fall nochmals (vor Vollstreckung des Unsäglichen) begutachtet wird.

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zobi
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Beitrag von zobi » Mi Nov 04, 2009 9:31 pm

Vom iPhone deshalb viell. inkl. Fehlerteufel:

die Diskussion um den verurteilte. dreht Sib. ja genau darum, wenn nachgewiesen werden kann dass die Bibel verwendet wurde dann ungültig. der einzige Ausweg hier ist das abstreiten dieses Tatbestands, wie es momentan passiert.

warum "standfest"? daran scheitert mein verständnis.

und du hast gerade durch das einbringen der Definition von leitkultur dir missbräuchliche Verwendung im betroffenen Artikel entblößt, nämlich eindeutig im Religiosen zusammenhang. siehe "Vorrang der Vernunft", Politik getrennt von religion usw.

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Cannibal
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Beitrag von Cannibal » Mi Nov 04, 2009 11:13 pm


die Diskussion um den verurteilte. dreht Sib. ja genau darum, wenn nachgewiesen werden kann dass die Bibel verwendet wurde dann ungültig. der einzige Ausweg hier ist das abstreiten dieses Tatbestands, wie es momentan passiert.
Es geht aber nicht prinzipiell darum, ob es die Bibel war, sondern ob die Geschworenen sozusagen "frei von äußeren Einflüssen" zu einem gemeinsamen Urteil gekommen sind. Ob der Einfluss jetzt die Bibel war, oder ein Fantasyroman, spielt dabei keine Rolle. Es ist keine Frage des Säkularismus. Es geht um den Modus der Entscheidungsfindung, und nicht darum, ob die Bibel grundsätzlich im Widerspruch oder in Übereinstimmung zum Recht steht.

In his letter this week to Perry, Oliver's attorney, David Dow, said the Nacogdoches County jury "was improperly influenced, and a reprieve is required to correct that improper influence.
Eines ist klar: bei einem Geschworenengericht kann das was du in deiner ersten Replik geschrieben hast, natürlich niemals eintreten, nämlich
Da geht es ja eben darum dass Religionsausübung und religiöse Einstellungen NICHT mit politischen, staatlichen Aufgaben vereinbar
Wie sollen denn die religiöse Einstellung bzw. die daraus erwachsenden moralischen Vorstellungen eines Menschen bei der Laiengerichtsbarkeit keine Rolle spielen?

Ich trete hier nicht als Verteidiger der Presse auf, aber was er mit standfest meinte, interpretiere ich dermaßen, dass die Entfernung aller mit dem Christentum verbundenen Kultur- und Gesellschaftsinstitutionen bzw. Errungenschaften ein karges Bild ergäbe. (Musik, Philosophie, Traditionen, Architektur,...)

ad Vorrang der Vernunft: Das sehe ich aber anders, denn erstens ist es Auslegungssache, ob es jetzt vernünftiger ist, von jemandem zu verlangen, er möge religiöse Symbole entfernen, da ein anderer in seiner primär gewünschten Andersgläubigkeit/Nichtgläubigkeit sonst Gefahr läuft, diese zu ändern. (Dann dürfte sie entweder nicht besonders fundiert oder zumindest intolerant sein, was dann wiederum dem letzten Punkt der Definition widerspricht.) Zweitens bezieht sich die Diktion glaube ich nicht primär auf solche "praxisnahen" Angelegenheiten sondern bspw. auf Rechtssprechung, Wissenschaft etc..

Ich finde ja den Artikel selbst auch nicht besonders gelungen, aber ich sehe ihn BEI GOTT NICHT ( ;) ) als so verabscheungswürdig bzw. ethisch fragwürdig an, wie du ihn darstellst.

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Brett
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Beitrag von Brett » Do Nov 05, 2009 12:44 am

zobi hat geschrieben:Ein echter Europäer muss also christliche Wurzeln haben um "standfest" (was auch immer das bedeuten soll) zu sein?
Nicht falsch verstehen, ich find die Formulierung auch bescheuert.
Aber "standfest" bezog sich hier auf die "europäische Zivilisation" in ihrer Summenwirkung, und nicht um Individuen. Also muss man das der Auffassung des Autors nach nicht gleich als k.o.-Kriterium für Europa-Integrität ansehn (hoffentlich :rolleyes :) .

Es ist das Wort einfach total fehl am Platz, weil man nur dann "standfest" sein braucht, wenn man von Fremdeinwirkung konfrontiert ist. Wer oder was ist die und mit welchen Mitteln ist man dagegen standfest? Das muss man sich zu allererst fragen.
Forma, Eier Gnodn.

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