
Ich hoff nur mir kommt nie ein Kirchenmitglied in so einer Situation unter
Cannibal hat geschrieben:Meines Erachtens ein exzellenter Artikel zum Thema Euthanasie, speziell bei Kindern.
Wiedereinmal ein sehr guter Kommentar zum Themenkreis Sterbehilfe/Euthanasie/Selbstbestimmung.Lebensrecht, nicht Lebenspflicht
GASTKOMMENTAR VON ULRICH H. J. KÖRTNER (Die Presse)
Wie weit reicht das Selbstbestimmungsrecht von Wachkomapatienten?
Vor gut einem Jahr ist das österreichische Patientenverfügungsgesetz in Kraft getreten. Es legt fest, unter welchen Voraussetzungen eine Patientenverfügung verbindlich und von den behandelnden Ärzten unbedingt zu befolgen ist. Bei einer Patientenverfügung im Sinne des Gesetzes handelt es sich um eine Willenserklärung, mit der ein Patient eine medizinische Behandlung ablehnt und die dann wirksam werden soll, wenn er zum Zeitpunkt der Behandlung nicht einsichts-, urteils oder äußerungsfähig ist.
Fällt auch die Ernährung eines Patienten durch eine Magensonde unter diese Bestimmung? Die Antwort lautet eindeutig ja. Nicht nur das Legen einer PEG-Sonde, sondern auch die Versorgung durch diese gehört nach österreichischem Recht zu den medizinischen, nicht zu den pflegerischen Maßnahmen, deren Ablehnung in einer Patientenverfügung unzulässig ist. Patienten haben also das Recht, das Legen einer Magensonde oder auch die Fortsetzung der Sondenernährung zu einem späteren Zeitpunkt zu verweigern. Sich über eine entsprechend eindeutige Willensäußerung des Patienten hinwegzusetzen, würde gegen das im Strafgesetzbuch verankerte Verbot der eigenmächtigen Heilbehandlung verstoßen.
Im Widerspruch dazu vertritt die römisch-katholische Kirche die Auffassung, Sondenernährung und Flüssigkeitssubstitution seien keine medizinische Behandlung, sondern gewöhnliche pflegerische Maßnahmen, die keinesfalls vorenthalten oder unterbrochen werden dürften. Das nämlich sei nichts anderes als Euthanasie durch Unterlassung.
Der Fall Terri Schiavo
Die römische Glaubenskongregation hat diese Position in der vergangenen Woche erneut bekräftigt. Anlass der jüngsten Stellungnahme war eine Anfrage der Bischofskonferenz der USA, wie weit die moralische Pflicht zur medizinischen Versorgung von Wachkomapatienten reicht. Wir erinnern uns an den Fall der Amerikanerin Terri Schiavo, deren künstliche Ernährung nach mehrjährigem Koma eingestellt wurde. Ihr Ehemann hatte glaubhaft machen können, dass seine Frau eine solche Behandlung abgelehnt hatte. Die eingeschalteten Gerichte gaben ihm schließlich Recht.
Was die Glaubenskongregation zum uneingeschränkten Lebensrecht und zur Schutzwürdigkeit von Wachkomapatienten sagt, verdient ungeteilte Zustimmung: „Ein Mensch ist und bleibt immer ein Mensch und wird nie zur Pflanze oder zum Tier, selbst wenn er schwerkrank oder in Ausübung seiner höheren Funktionen behindert ist.“ Darum haben Wachkomapatienten auch das Recht auf ärztliche und pflegerische Grundbetreuung einschließlich der Vorsorge gegen Komplikationen, die mit der Bettlägerigkeit verbunden sind. Und insoweit besteht eine moralische Verpflichtung, gegebenenfalls für künstliche Ernährung und Flüssigkeitsinfusionen zu sorgen.
Die amerikanischen Bischöfe und die Glaubenskongregation haben allerdings die wichtige Frage ausgeklammert, ob Patienten von sich aus – z.B. in Form einer verbindlichen Patientenverfügung – Sondenernährung und Flüssigkeitssubstitution verweigern können. In früheren Stellungnahmen hat der Vatikan dies abgelehnt. Die österreichische Bischofskonferenz hat sich meines Wissens zu dieser Frage bislang nicht explizit geäußert.
Für die Anwendung des österreichischen Patientenverfügungsgesetzes ist das Thema durchaus brisant, widerspricht doch die Position des Vatikans eindeutig dem hierzulande geltenden Recht. Problematisch wird dieser Widerspruch spätestens dann, wenn katholische Spitäler oder Pflegeheime die lehramtliche Position der katholischen Kirche gegenüber ihren Patienten oder Bewohnern durchsetzen wollen. In Deutschland hat dies schon zu Konflikten geführt. Bereits im April 2004 hat die Bioethik-Kommission des Bundeslandes Rheinland-Pfalz kritisch angemerkt, die „ethische, religiöse oder weltanschauliche Ausrichtung von Krankenhäusern und Heimen“ sei unbedingt „zu achten“, doch dürfe dies „nicht dazu führen, dass es zur Missachtung der Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität von Patientinnen und Patienten kommt“.
Zulassen des Todes keine Euthanasie
Das Selbstbestimmungsrecht von Patienten gegen fürsorgliche Bevormundung zu schützen entspricht durchaus einem christlichen Verständnis von Gewissensfreiheit und Verantwortung des Einzelnen vor Gott. Wann für den Betroffenen die Zeit gekommen ist zu sterben, darf nicht ausschließlich von medizinischen Prognosen und dem Urteil Dritter abhängig gemacht werden. Wenn der eindeutigen Willensbekundung eines Wachkomapatienten Folge geleistet wird, dass bei entsprechender Prognose auf therapeutische Interventionen verzichtet werden soll, damit er sterben kann, handelt es sich auch im Sinne des Patientenverfügungsgesetzes nicht um aktive Euthanasie, sondern um ein Zulassen des Todes in dem Sinne, dass seinem Kommen nichts mehr entgegengesetzt wird.
Das Recht auf Leben, dessen Verteidigung nicht nur ein katholisches, sondern ein ökumenisches Anliegen ist, darf nicht zu einer Lebenspflicht umgedeutet werden. Deshalb ist dafür Sorge zu tragen, dass die Grundintention des Patientenverfügungsgesetzes im medizinischen Alltag nicht unterlaufen wird.
O. Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner ist Vizedekan an der Evang.-Theolog. Fakultät in Wien und Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2007)