Nationalratswahl 2008

Politische Diskussionen finden hier statt.
Benutzeravatar
Cannibal
Beiträge: 3612
Registriert: Mi Nov 24, 2004 1:00 pm

Beitrag von Cannibal » Mo Okt 06, 2008 12:00 am

Sehr guter Leitartikel.
Was hat Strache, was andere nicht haben?

MARTINA SALOMON (Die Presse)

Jugendliche haben in Scharen Blau gewählt. Das waren nicht mehr nur die „Modernisierungsverlierer“.

Was ist nur mit der Jugend los?, rätseln zahlreiche Experten seit einer Woche. Aber so überraschend war es gar nicht, dass Erstwähler am 28.September in Scharen ihr Kreuzerl bei den Blauen machten und im Grunde mit Politik nichts am Hut haben. Das hat die Meinungsforschung schon lange vor der Wahl erhoben (nachzulesen in der „Presse̶) .

Firmen investieren viel Geld und Hirnschmalz, um junge Kunden zu erreichen. Auch die quasi „etablierten“ Parteien – SPÖ, ÖVP, Grüne – sollten sich schön langsam den Kopf darüber zerbrechen, wie sie Wählernachwuchs rekrutieren. ÖVP und Grüne haben vergangene Woche reagiert und ihre Parteispitze jeweils deutlich verjüngt. Aber das allein wird wohl kaum reichen. Stimmt schon, die Jungen sind schwer zu erreichen, Interesse an Politik scheint eine Fünfzig-plus-Angelegenheit zu sein. Engagement für die eigenen Anliegen auch. Mehr als die U-Bahn-Zeitung oder Schlagzeilen im Internet zu lesen ist meist schon Überforderung, Politik kein Thema. In erster Linie sind sie mit sich selbst beschäftigt. Vielleicht haben sie sich die überangepassten Jungfunktionäre der Parteien sogar verdient: Diese sind ein Spiegelbild ihrer selbst. Es gibt nicht viel aufzumucken gegen eine tolerante (sehr oft leider auch überaus gleichgültige) Erwachsenenwelt.

Als „arm“ gilt, wer sich nicht das neueste Handymodell leisten kann und daheim keinen Flatscreen zur Verfügung hat. Das kann durchaus schmerzen, aber essenziell ist es nicht. Zumindest nicht so wichtig, um deshalb auf die Barrikaden zu steigen. Cool sein ist wichtiger, und Heinz-Christian Strache hat bei manchen Jungen einen kleinen Popstar-Nimbus.

Feschismus“ hat man das seinerzeit bei Jörg Haider böse genannt. Teure Uhren, schnelle Autos, trendiges Gewand, hedonistischer Lebenswandel: So präsentiert sich auch Strache, und er ist dort, wo Jugendliche sind: in angesagten Discos zum Beispiel. Aber das allein ist es nicht: Die Chefs von FPÖ und BZÖ reden auch nicht den üblichen phrasenhaften Politikersprech. Klar, sie müssen ja auch nicht immer den kleinsten gemeinsamen Nenner einer (einst) großen Partei repräsentieren.

Strache wählen heißt außerdem, gegen das Establishment zu sein, das über die Rechten kollektiv die Nase rümpft. Aber nach zwei Generationen politisch korrekter, „gegenderter“, ökologisch bewusster Lehrer gibt es kaum ein größeres Zeichen von Aufmüpfigkeit, als sich frech zu den bösen Buben in der Politik zu bekennen. Offenbar eine natürliche Gegenreaktion. Strache setzte sein Autogramm auf ein feilgebotenes Dekolleté. Urgeil! Haider sprach seine Wähler mit „Du“ an. Leiwand!

Aber abgesehen vom Stilistischen vermitteln die Rechtsparteien das Gefühl, Rächer für erlittenes Unrecht zu sein. Dafür gibt es einen Schuldigen: „die Ausländer“ – sprich: der schlecht integrierte Teil der Migranten –, oft schon in zweiter Generation hier und längst selbst Österreicher, aber in (türkischen) Subkulturen lebend. Den Burschen kreidet man Pöbeleien, Übergriffe und Vandalismus an. Sie schließen sich in Schulklassen zu hermetischen Gruppen zusammen, treten machohaft auf. Aber natürlich ist nicht jeder Zusammenstoß zwischen Krochern und Emos in der U-Bahn oder vor dem Nachtlokal ein Ausländerproblem. Strache/Haider haben halt simple und radikale Rezepte für das dumpfe Gefühl, dass es viel zu viele Migranten ohne Zukunftsperspektive gibt, die das Leben in Österreich ungemütlicher gemacht haben.

Und was sagen eigentlich alle anderen Parteien zu diesem heißen Thema? Die Grünen wollen oberflächlich betrachtet noch mehr Zuwanderung, die SPÖ schweigt oder redet alles schön, die ÖVP weiß eigentlich nicht, was sie will, pauste im Wahlkampf aber bei der FPÖ ab. Da geht man allerdings gleich lieber zum Schmied statt zum Schmiedl.

Machen wir uns keine Illusionen: Freiheitlich zu wählen ist nicht mehr so wie früher eine reine Unterschichtsangelegenheit. Neben den sogenannten Modernisierungsverlierern fühlen sich all jene angezogen, die die Politik schon lange nicht mehr verstehen. Das ist sogar ein generationenübergreifendes Problem. Wenn die Mittelparteien ÖVP und SPÖ das nicht rasch erkennen und auch – aber bitte unpopulistisch! – handeln, dann werden sie schon bald wieder abgestraft.

Denn Politik gilt speziell den Jungen als alter Hut. Wenn sie aber das „Feuer“ nur mehr bei populistischen Parteien spüren, dann ist bei der Demokratie bald insgesamt Feuer am Dach.

Benutzeravatar
Brett
Beiträge: 11837
Registriert: Mi Dez 29, 2004 1:00 pm

Beitrag von Brett » Mo Okt 06, 2008 12:24 am

Ich hätt gschrieben: "Haider sprach seine Wähler mit 'Du' an. Kärntner!"

Diese NRW erstmals gedroschen: Die Schmied-Schmiedl-Phrase.

&quot hat geschrieben:"Ich stelle keine einzige Bedingung bei Ressorts", sagt er laut Vorabmeldung dem "Kurier" (Montag-Ausgabe). "Es kann nicht darum gehen, welcher Partei was wichtig ist."
Nanu? Wenn auch hier vermutlich aus dem Zusammenhang gerissen, kann ich dem nicht ganz folgen. Mir is wurscht, wo ich welche Politik mach, Hauptsache, ich mach eine?
Das nächste Mal wähl ich auch Strache :base: :dead: :base: . (EDIT: <-- Das war natürlich ein Witz)
Forma, Eier Gnodn.

Benutzeravatar
Bergsalz
Beiträge: 2079
Registriert: So Jan 09, 2005 5:08 pm
Wohnort: Klosterneuburg

Beitrag von Bergsalz » Mo Okt 06, 2008 10:13 am

Brett hat geschrieben:Mir is wurscht, wo ich welche Politik mach, Hauptsache, ich mach eine?
Nach demselben Prinzip haben wir doch auch unseren Noch-Kandesbunzler erhalten.
"Mir wurscht, wenn ich der zweiplatzierten Partei alle Schlüssel-Ressorts überlassen muss, Hauptsache, ich werd' Kanzler."

Heute nacht werden alle Stimmen ausgezählt sein. Dann wirds lustig.
"Hey hey hey!" That's what I say.

Benutzeravatar
Brett
Beiträge: 11837
Registriert: Mi Dez 29, 2004 1:00 pm

Beitrag von Brett » Mo Okt 06, 2008 11:32 am

@Klachl: Hier noch ein Interview mit Vouk, der, anders als der Haider, auch ausspricht, worums bei diesen bescheuerten Ortstafeln tatsächlich geht. http://neuwal.com/index.php/2008/09/05/ ... ew-neuwal/

Schade, dass ich den Blog erst jetzt entdeckt hab, gefällt mir. Nicht zuletzt das Logo mit dem Wal is Wahnsinn, sowas fasziniert mich!

Hast du Zahlen zur Hand, was die letzte NRW (falls das dort so heißt) in Ungarn betrifft? Wie stark waren da die Liberalen, nur so aus Interesse?
Forma, Eier Gnodn.

Benutzeravatar
florianklachl
Beiträge: 5896
Registriert: Sa Nov 13, 2004 1:00 pm
Kontaktdaten:

Beitrag von florianklachl » Di Okt 07, 2008 8:12 pm

@Brett: Prozentsatz weiß ich nicht, sind jedenfalls eine Kleinpartei, in Budapest stellen sie aber den Bürgermeister.

Meine Meinung zu den Ortstafeln ist die, dass es eigentlich sehr erfreulich ist, wenn es beim Zusammenleben zwischen slowenisch- und deutschsprachigen Kärtnern keine gewichtigeren Probleme mehr gibt.
http://www.proreligion.at/

Sei immer du selbst. Außer du kannst ein Einhorn sein, dann sei ein Einhorn!

Benutzeravatar
Cannibal
Beiträge: 3612
Registriert: Mi Nov 24, 2004 1:00 pm

Beitrag von Cannibal » Mi Okt 08, 2008 10:49 pm


Benutzeravatar
Brett
Beiträge: 11837
Registriert: Mi Dez 29, 2004 1:00 pm

Beitrag von Brett » Do Okt 09, 2008 10:28 am

Das schlimme dran: In der Wählerschaft von Strache wird es kaum jemanden geben, der ihm diesen "überraschenden" Gesinnungswechsel übelnimmt.

Ich denke, die Rechten haben mithilfe ihrer Aufteilung auf zwei Parteien ein Maximum an Stimmen geschöpft (bezogen auf allein diesen Aspekt; abgesehen von Wahlmotiven - "Protest", ...).
Strache, mehrmals hat geschrieben:Jedes gebrochene Versprechen ist ein gesprochenes Verbrechen.
:rolleyes:
Forma, Eier Gnodn.

Benutzeravatar
version4x
Beiträge: 2531
Registriert: So Dez 05, 2004 1:00 pm
Kontaktdaten:

Beitrag von version4x » Do Okt 09, 2008 12:01 pm

Brett hat geschrieben:Das schlimme dran: In der Wählerschaft von Strache wird es kaum jemanden geben, der ihm diesen "überraschenden" Gesinnungswechsel übelnimmt.
Das Oppositionsblabla der Grünen zielt ja im Endeffekt auf genau das gleiche ab. Gute Oppositionspolitik machen (denn Mißstände aufzeigen ist leichter, als sie zu beheben), bei der nächsten Wahl mehr Stimmen einfahren, um dann evtl. einer Regierung anzugehören
......!

Benutzeravatar
Brett
Beiträge: 11837
Registriert: Mi Dez 29, 2004 1:00 pm

Beitrag von Brett » Do Okt 09, 2008 2:07 pm

Hmm, ich glaub, wir reden nicht vom Selben.

Dass Oppositionspolitik nicht lösungsorientiert läuft, find ich ganz natürlich und beruht auf sehr menschlichen Schwächen. Dass man, wenn man nicht nur Stimmenzugewinne von Seiten der Protestwähler, Exzentriker und Hyperintellektuellen erwartet, sondern irgendwann auch regierungsfähig sein will, sich auch einmal hinsetzt und gescheite Strategien entwickelt, liegt in der Weitsicht des Spitzenkandidaten. Van der Bellen hat sich da finde ich redlich bemüht und hat trotz des Problems, unpopuläre Themen schmackhaft machen zu müssen, nicht wenig erreicht (wenn ein Haider sagt, er möchte Spritbonusschecks für alle Österreicher oder ähnliche Gimmicks, dann tut er sich beim Verkauf denkbar leichter).

Nun der Punkt, den ich aber meinte (verzeih, dass ichs zu verkürzt und uneindeutig formuliert hab):

Wenn der Van der Bellen sagte, dass er mit der FPÖ in keiner Koalition sein möchte, dann verwendete er das Wort "Nein.", nachdem ihm die Thurnher diesbezüglich eine unmissverständliche Frage gestellt hatte.

Nun ja, und Strache sagte selbiges in Bezug auf das BZÖ, halt in seiner speziellen Strache-Sprache.

Das einzige trennende Element bei den beiden rechten Parteien sind doch einfach nur Persönlichkeitskonflikte, da wird sich abgesehen von den Protagonisten kaum wer was andres vormachen. Vergleiche zu den "linken" Parteien (ich pers. finds jämmerlich, dass die Grünen denen zuzuordnen sind, der grüne Gründungsgedanke heftet sich wohl kaum an ein politisches Lager - drum gibt es ja auch diese eher peinlich angelegte Aufteilung in sogenannte Fundis und Realos) gelingen mir was das angeht, nicht wirklich.

Bild
Forma, Eier Gnodn.

Benutzeravatar
JesuZ
Beiträge: 7371
Registriert: Sa Nov 13, 2004 1:00 pm
Kontaktdaten:

Beitrag von JesuZ » Do Okt 09, 2008 3:55 pm

hab vor kurzem eine ähnliche tasche gesehn auf der 'Ich glaube Michael Häupl wählt grün' gestanden ist
„2 + 2 = 7. 4 is propaganda.“ (Anonymous)

Antworten